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Endlich die Entbürokratisierung in Angriff nehmen!

Interview mit Oliver Sieh, er ist einer der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens im Gesundheitswesen, zu seinen Erfahrungen mit der wachsenden Belastung für Betriebe durch bürokratische Vorgaben.

Frage: Ihr Unternehmen ist im Gesundheitswesen tätig, was genau machen Sie?

Oliver Sieh: Wir sind als Dienstleister für verschiedene Kunden tätig, unsere Kernkompetenz liegt in der Patientenkommunikation und -transportlogistik. Unsere Aufgaben sind aufgegliedert in die Geschäftsbereiche Demand, Disease und Auslandassistance.

Frage: Das klingt sehr abstrakt, was ist konkret damit gemeint?

Oliver Sieh: Mit Demand unterstützen wir beispielsweise Krankenkassen und andere Versicherungen bzw. deren Versicherten. Die Kompetenzen der Versicherungen liegen im Sozial- oder Versicherungsrecht, mit medizinischen Fragen kennen sie sich weniger aus. Wenn eine Versicherung ihren Kunden oder Patienten eine medizinische Beratung anbieten will, können wir das übernehmen. Ähnlich ist es im Bereich Disease Management oder Managed Care, wobei der Fokus hier darauf liegt, Patienten mit einer chronischen Erkrankung durch Spezialisten in ihrem Gesundheitsmanagement zu unterstützen.

Frage: Also wenn ich herzkrank bin oder Diabetes habe, können Sie mir zur Seite stehen?

Oliver Sieh: Ja, wir nutzen dafür spezielle Apps oder melden uns regelmäßig und fragen, wie es geht, und können bei individuellen, medizinischen Fragen ganz gezielt beraten. In unseren Teams haben wir insgesamt mehr als 80 Ärzte, über 200 Krankenpfleger und dazu noch Ernährungsberater, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten sowie andere Fachkräfte bis hin zu Spezialisten für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Diese geballte medizinische und therapeutische Kompetenz nutzen wir auch für den dritten Bereich, nämlich Auslandsassistance.

Frage: Was kann man sich darunter vorstellen?

Oliver Sieh: Wenn ein Versicherter im Ausland erkrankt oder verunfallt, kümmern wir uns im Auftrag der Versicherung um den Patienten. Wir setzen uns also mit dem Patienten bzw. mit der Klinik oder dem Arzt in Verbindung und klären, was genau vorliegt, in welchem Zustand der Patient ist, ob die Therapie ordnungsgemäß nach deutschen Standards erfolgt und so weiter. Wenn die Diagnose beispielsweise ergibt, dass es nur ein verstauchter Fuß ist und wenn der Patient vor Ort in guten Händen ist, dann ist es am einfachsten, ihn dort auskurieren zu lassen oder zumindest so lange dort zu lassen, bis er soweit hergestellt ist, um eigenständig zurückzukommen. Wenn es jedoch schwere Erkrankungen sind, die vor Ort nicht ordnungsgemäß behandelt werden können, starten wir eine Rückholaktion. Hier haben wir schon Fälle erlebt, die richtig knifflig waren. Eine Rückholung aus dem Fernen Osten in einem Ambulanzflug dauert natürlich sehr lange, da ist dann sogar eine Ersatzcrew für den Schichtwechsel vonnöten. Wenn der Patient nicht intensivmedizinisch versorgt werden muss, reicht es auch, ihn in einem Linienflug liegend auf einem sogenannten Stretcher zurückzuholen. Das ist eine spezielle Trage mit Luftfahrtzulassung, die anstelle von Sitzen in einen Linienflieger eingebaut wird. Wir hatten aber auch schon Fälle, wo gar kein Flughafen in der Nähe war, da musste natürlich erst einmal ein Transport zum nächsten Flughafen organisiert werden. Wenn jemand auf einer kleinen Insel erkrankt, muss teilweise erst ein Boot oder ein Heli-Flug organisiert werden, um zur nächsten großen Insel und von dort weiter zu kommen. Aber natürlich ist dieser Aufwand nicht so häufig, die Heimflüge betreffen weniger als ein Prozent aller Fälle bei uns. 

Frage: Diese Organisation ist sicherlich sehr zeitaufwändig, nicht wahr?

Oliver Sieh: Ja, es ist ein Zeitaufwand, diese organisatorischen Dinge zu klären. Für uns ist aber das größere Problem, dass es nicht allein um organisatorische Fragen geht, sondern immer mehr um bürokratische Hindernisse. 

Frage: Wie machen sich diese bürokratischen Hindernisse bemerkbar?

Oliver Sieh: Wenn früher jemand im Ausland unsere Hilfe brauchte, haben wir uns mit dem Patienten bzw. dem zuständigen Arzt in Verbindung gesetzt und direkt die medizinischen oder auch organisatorischen Fragen geklärt. Seit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geht das nicht mehr ohne weiteres. Bevor wir tätig werden können, bevor wir überhaupt den Namen des Patienten nennen dürfen, müssen wir zunächst der Klinik bzw. dem Behandler einen vielseitigen Auszug aus der in Deutschland gültigen DSGVO übermitteln. Der Behandler muss dieses Dokument lesen, unterzeichnen, dass er sich an die Vorgaben hält, und uns das unterschriebene Dokument zurücksenden. Erst dann können wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Nun steht natürlich die Frage im Raum, ob ein Arzt in einem fernen Land sich tatsächlich die Zeit nimmt, ein umfangreiches Dokument genau durchzulesen und auch noch schriftlich zu bestätigen, nur um einen verstauchten Fuß zu behandeln. Und ganz theoretisch ist es ja so, dass er vorab als Dienstleister ja auch geprüft werden müsste. Es ist aber doch absurd anzunehmen, dass wir alle medizinischen Dienstleister auf der Welt im Vorfeld prüfen können – es gab jedoch schon Datenschutzbeauftragte von Versicherungen, die genau das von uns verlangten. In der Regel bleibt uns nur, dass wir uns auf den §49 DSGVO berufen und einen zeitlich dringenden Notfall proklamieren, aber auch hier bewegen Sie sich permanent in einer rechtlichen Grauzone. Das ist wirklich zum Kopfschütteln, was der Gesetzgeber sich hier ausgedacht hat.

Frage: Das sind aber Vorgaben, die von der EU kommen und dann in Deutschland umgesetzt werden, oder?

Oliver Sieh: Ja, das stimmt. Der Witz dabei ist, dass die damals zuständige EU-Kommisarin Věra Jourová überhaupt keine Ahnung von IT oder Telekommunikationstechnik hat, aber dennoch überzeugt ist, die DSGVO ganz einfach selbst anwenden zu können – und das hat sie in einem Interview mit der ZEIT noch frohgemut verkündet! Da langt man sich dann wirklich an den Kopf! 

Frage: In der Tat, es scheint, als ob die EU-Vertreter hier sehr naiv an eine so komplexe Sache drangehen. Wie spüren Sie die Auswirkungen der DSGVO noch?

Oliver Sieh: Ebenso aufwendig im Alltag ist das „Recht auf Vergessen-Werden“: Jede Person, deren Daten wir verarbeiten, hat das Recht zu verlangen, dass wir diese Daten wieder auf Anforderung löschen. Nun ist es ja nicht mehr so, dass man wie früher mit Karteikarten arbeitet und einfach nur eine Karteikarte mit Inhalt in den Reißwolf gibt. Das Problem bei Daten ist ja, dass sie gleich in mehreren Systemen zum Teil automatisch hinterlegt sind. Wenn eine Person ihre Daten gelöscht haben will, so ist die Telefonnummer etc. im Telefonsystem abgespeichert, dazu noch in unseren Workflowsystemen, die dann wiederum in täglich auf Bändern gesichert werden und so weiter. Das bedeutet also, wenn ich die Daten einer Person löschen will, muss ich in mehrere System rein, der Aufwand dafür ist extrem und dauert pro Anforderung gerne mehrere Stunden, um die Daten sicher zu löschen und die Dokumentation und den Schriftverkehr zu bewältigen. Bei rund 7000 Kundenkontakten pro Tag … Und die Datenschutz-Grundverordnung ist ja nur der Anfang gewesen. Ein anderes Thema ist die zum Beispiel die Präqualifizierung im Gesundheitswesen …

Anmerkung: Nach dem Gespräch mit Oliver Sieh hat die Redaktion nach dem genannten Interview mit der ZEIT recherchiert – es ist hier auffindbar, die relevante Passage haben wir hier als Bildschirmfoto ergänzt …

Hier noch ergänzend als weitere Anmerkung von Oliver Sieh: „Gemäß römischer Rechtstradition sollen Gesetze klar formuliert und einfach zu verstehen sein, damit sie auch beachtet werden und vor allem auch die Konsequenzen genau definiert sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner ursprünglichen Form ist auch heute noch ein bewundernswertes Werk, weil man sich genau an diese Vorgaben gehalten hat. Frau Jourova sagt in diesem Artikel mehrfach „das sie davon ausgeht“, das es „mit Augenmaß“ behandelt werden soll, etc. Gleichzeitig wurde mit der DSGVO ein „scharfes Schwert“ eingeführt, also extrem hohe Geldbußen, aber eben keine verbindliche Richtlinie für diese. Alles bleibt im vagen und schafft damit Unsicherheit, ob nicht jeder kleine, unabsichtliche Verstoß gegen die DSGVO zum Ruin der Unternehmen führt. Man soll „Augenmaß“ wahren, ist eben keine juristische Definition.“

Frage: Was muss man sich unter dieser Präqualifizierung vorstellen?

Oliver Sieh: Als Unternehmen im Gesundheitswesen muss man bei einer zertifizierten Stelle eine Mini-Zertifizierung durchlaufen. Das heißt, man muss unterschiedliche Unterlagen einreichen, zum Beispiel Informationen zu Räumlichkeiten, zu Lagermöglichkeiten, zu Versicherungen und vieles mehr. Unter anderem muss auch ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister beigefügt werden. Diesen Auszug aus dem Gewerbezentralregister kann ich als Geschäftsführer aber nur persönlich beim Amt beantragen und er ist nur maximal sechs Monate gültig. Das heißt für mich: alle sechs Monate bin ich einen halben Tag damit beschäftigt, zu einem Termin zu fahren, den ich vorher vereinbaren musste, um dort ein Papier zu beantragen. Und das im digitalen Zeitalter! Das ist ein Witz, diesen Aufwand zu betreiben, nur um ein Papier zu kriegen, in dem drin steht, dass da nichts drin steht. Und diesen Aufwand für die Präqualifizierung im Gesundheitswesen muss man auch dann betreiben, wenn man so banale Sachen wie Tempotaschentücher oder Windeln verkaufen will. Für alles gibt es sicher einen guten Grund, aber in der Gesamtheit ist das einfach irre!

Frage: Gibt es noch weitere Beispiele für diesen Irrsinn?

Oliver Sieh: Aber klar doch! Mir fällt spontan diese EEG-Meldepflicht ein. Das ist auch so irrsinnig gemacht. Sollte bei uns im Betrieb ein Handwerksbetrieb zum Beispiel für eine Montage oder eine Reparatur ein Elektrogerät mit Strom von uns betreiben, sind wir damit automatisch Energie-Lieferanten und müssen der EEG-Meldepflicht zufolge wieder irgendwelche Papiere ausfüllen und Meldungen verschicken. 

Frage: Ist das ab einer bestimmten Strommenge oder Nutzungsdauer?

Oliver Sieh: Nein, die EEG-Meldepflicht greift ab dem Moment, wo das Gerät eingesteckt und der An-Schalter betätigt wird! Eine solche Nichtigkeit zieht schon wieder einen Rattenschwanz an Bürokratismus nach sich!

Frage: Eigentlich verspricht die Politik seit Jahrzehnten, die Bürokratie abzubauen – woher kommt dieser Hang zum Bürokratismus? 

Oliver Sieh: Aus meiner Sicht hat das mit dieser übermäßigen Bürokratisierung mit der überstürzt eingeleiteten Euro-Rettung angefangen. Irgendwie hat die EU damals den Eindruck gewonnen, sie könne tun und lassen, was sie will, die Unterstützung ist ihr sicher. Das scheint sich verstetigt zu haben. Die EU hat aus meiner Sicht die alltagspraktische Machbarkeit aus dem Blick verloren. Ähnlich auch mit dem jetzt mit dem Gesetz zu den Meldestellen für Whistleblower oder Hinweisgeber. 

Frage: Als Frage für die Leser: Was hat es denn damit auf sich?

Oliver Sieh: Es geht darum, dass Mitarbeiter in Unternehmen mögliche Missstände wahrnehmen könnten, aber sich nicht trauen, diese zu melden, weil sie Nachteile befürchten. Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz, das jetzt der EU‐Whistleblower‐Richtlinie folgt, sollen Mitarbeiter sowie auch Lieferanten, Auftragnehmer, Stellenbewerber, Praktikanten etc. ermutigt werden, Rechtsverstöße in einem Unternehmen aufzudecken, damit diese verfolgt und bestraft werden können. 

Frage: Und welche Auswirkungen hat das neue Gesetz für Ihren Betrieb?

Oliver Sieh: Hier müssen Meldestellen im Betrieb eingerichtet werden, das lässt sich aber nicht immer und überall in Eigenregie machen, daher müssen wieder externe Lösungen in Anspruch genommen werden – insgesamt hängt auch hier wieder ein Rattenschwanz an Dienstleistern und Kosten hinten dran. Man hat immer mehr das Gefühl, es dreht sich alles im Kreis und verbraucht immer mehr Ressourcen, ohne dass etwas Wertschöpfendes geschaffen wird. Als ich vor etlichen Jahren in den Beruf eingestiegen bin, ging es in der Wirtschaft darum, flache Hierarchien einzuführen und dieses „Lean Management“ hat mich stark geprägt. Inzwischen stelle ich aber fest, dass das mit flachen Hierarchien gar nicht mehr geht, weil viel zu viele Leute damit beschäftigt sind, Häkchen auf Papierchen zu machen, ohne etwas zu produzieren.

Frage: Haben Sie dafür Beispiele?

Oliver Sieh: Da muss man doch einfach nur dieses Beauftragten-Unwesen anschauen: Als mittelständisches Unternehmen braucht man für alles einen Beauftragten und wir haben ja heute nicht nur einen Datenschutzbeauftragten, sondern auch einige Andere wie z. B. einen Entsorgungsbeauftragten – da kommt dann das berühmte Teebeutel-Problem.

Frage: Was ist denn das Teebeutel-Problem?

Oliver Sieh: Das mit dem Teebeutel steht sinnbildlich für die unterschiedlichen Stoffe, die bei der Abfallbeseitigung anfallen. Bei Teebeutel gibt es teilweise organisches Material, also müsste er in die braune Tonne, aber da ist ja noch der Bändel und das Papier und die kleine Klammer, die eigentlich jeweils in die anderen Tonnen müssten, sonst wird das nicht ordnungsgemäß entsorgt … und wenn bei Ihnen viel Tee getrunken wird, dann besteht die Gefahr, dass die erlaubten Fehlmengen bei der Mülltrennung überschritten werden.

Frage: Gibt es noch weitere Stellen, wo der Schuh drückt?

Oliver Sieh: Aber sicher doch. Eine weitere Dauerbaustelle ist der Bereich Compliance, direkt gefolgt vom Lieferkettengesetz. Allein das Compliance Konzept scheint sich alle Jahre zu ändern, also muss alle Jahre etwas neu angepasst werden. Das nimmt inzwischen Ausmaße an, die sind nicht mehr schön. Wir sind ja Dienstleister für über 160 Kunden. Neulich haben wir von einem Kunden ein Formular geschickt bekommen, was wir ausfüllen müssen, weil wir für ihn ja ein Lieferant sind. Dieses Formular enthielt 480 Fragen. Viele der Fragen lassen sich direkt auf dem Bildschirm durch Anklicken eines Kästchens beantworten. Aber einige Fragen müssen in Wörtern oder Sätzen beantwortet werden. Bis man durch diese 480 Fragen durch ist, ist ein Arbeitstag rum. Und das ist dann nur ein Kunde von mehr als 160. Wenn also unsere anderen Kunden auch solche Fragebögen schicken, ist man im Grunde genommen 160 Arbeitstage nur damit beschäftigt, die Fragen an die Lieferanten zu beantworten. Das hat mittlerweile absurde Dimensionen angenommen. Theoretisch benötigen wir bald einen Mitarbeiter, der nichts anderes macht als die Beauftragten unserer Kunden zu betreuen.

Wenn ich mich bei anderen Mittelständler so umhöre, lautet der Tenor immer wieder „Es macht keinen Spaß mehr, als Unternehmer tätig zu sein, weil überhaupt kein Freiraum mehr bleibt für unternehmerische Ideen“. Früher hatte man eine Idee, dann konnte man mit Geschäftspartnern oder potentiellen Kunden oder wem auch immer darüber reden, ihre Anmerkungen überdenken und so weiter, um dann ein Konzept zu entwickeln für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung. Wenn es heute eine frische Idee gibt, dann fragt man erst mal beim Datenschutzbeauftragten, dann beim Compliance-Beauftragten und dann bekommt man schon so viele Bedenken serviert, dass man es am liebsten schon wieder sein lässt. Auf diese Art und Weise werden Ideen in diesem Land wirklich abgewürgt. 

Oder was mir noch einfällt, ist das neue Medizinproduktegesetz, das verabschiedet wurde. Ziel dieser Bürokratisierung ist natürlich die medizinische Versorgungssicherheit zu gewährleisten, alles gut gemeint, aber de facto führt dies nur dazu, das Innovationen nicht mehr in der EU stattfinden. In der Vergangenheit hatten wir eine eigene App entwickelt, um medizinische Daten sicher zu versenden und andere nützliche Funktionen für Patienten. Die notwendige Zertifizierung gemäß der niedrigsten Klasse des Medizinproduktegesetzes MPG haben wir in Eigenregie gemacht, mit wöchentlichen Sitzungen von vier Personen in acht Monaten. Nach dem neuen Medizinproduktegesetz MPR der EU, ist das nicht mehr möglich. Das MPR toppt den ganzen Wahnsinn nochmal deutlich: Der Zeitaufwand für die Rezertifizierung der selben App wird jetzt etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen. Dazu brauchen wir externe Berater, wir brauchen eine spezielle Software und klinische Studien sind auch gefordert. Insgesamt muss man für diese Zertifizierung etwa 300.000 bis 400.000 Euro investieren. Das nimmt Dimensionen an, wo man sagen muss, ein junges Startup-Unternehmen kann so etwas überhaupt nicht mehr leisten. Wo also soll Innovation herkommen? Innovation wird künftig aus Asien oder aus Amerika kommen, in der EU wird jedenfalls alles abgewürgt. Ich habe neulich in einem Artikel gelesen, dass mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung die Innovationsrate deutlich gesunken ist. Mich wundert das nicht. Je mehr gesetzliche Vorgaben, desto weniger Interesse an unternehmerische Tätigkeit oder an der Entwicklung von Innovationen. Das ist hier alles viel zu zäh.

Frage: was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Oliver Sieh: Wir brauchen dringend eine Entbürokratisierung, aber ich habe inzwischen wenig Hoffnung. In den letzten Jahren ist immer so viel versprochen worden, aber statt Unternehmen zu entlasten, gab es in den letzten Jahren einen wahren Bürokratie-Tsunami. Ich verstehe ja, dass es gute Gründe gibt, wie zum Beispiel beim Lieferkettengesetz, mit dem man Kinderarbeit oder Umweltschutzprobleme verhindern möchte. Für alles gibt es gute Gründe, die man anführen kann. Nur irgendwann bremst es die Wirtschaft viel zu stark aus oder verteuert ein Produkt maßlos. Um bei der oben angesprochenen Papierwindel zu bleiben, wenn ich sicherstellen soll, woher der Baum für die Papiereinlage kommt, wer ihn geschlagen und zu Papier verarbeitet hat, dann kostet die Windel halt danach deutlich mehr, denn die Inspektoren, die in der Weltgeschichte herumfliegen, kosten Geld und tragen einmal mehr nicht zur Wertschöpfung bei.

Vielen Dank für das Interview!

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